als visuelle Reise zwischen Mittelalter, Identität und Aufbruch
Mit seiner Frühjahr/Sommer-Kollektion 2026 „The Hunt“ schlägt der Berliner Designer Danny Reinke ein neues Kapitel auf. Es ist kein lauter Umbruch, sondern ein leises, fast poetisches Statement über persönliche Entwicklung, Sehnsucht und die Suche nach innerer Freiheit – verpackt in meisterhaft gearbeitete Looks, die historische Tiefe mit zeitgenössischer Leichtigkeit verbinden.
Die Jagd als Metapher zwischen Mythos und Selbstfindung
Im Zentrum der Kollektion steht ein Bild, das seit Jahrhunderten fasziniert: die Jagd auf das Einhorn. Reinke greift diese ikonische Szene aus den berühmten Unicorn Tapestries des späten 15. Jahrhunderts auf, die einst in französischen oder flämischen Webereien entstanden. Doch statt einer romantisierten Erzählung von Macht und Besitz entwickelt er daraus ein vielschichtiges Narrativ: Die Jagd wird bei ihm zum Sinnbild eines inneren Prozesses – einer Suche nach Identität, Transformation und der Freiheit, sich selbst neu zu entwerfen.
„The Hunt“ ist damit weniger ein Streifzug durch historische Gewänder als vielmehr eine Interpretation seelischer Zustände durch Mode. Die Kollektion öffnet ein Spannungsfeld zwischen Zartheit und Stärke, zwischen Rückbesinnung und Neudefinition.
Historische Codes - neu gedacht
Reinke ist bekannt für seine Liebe zum Detail und seine Auseinandersetzung mit Kostümgeschichte und Modearchäologie. In „The Hunt“ lässt er sich von der Formsprache des Spätmittelalters und der frühen Renaissance inspirieren. Elemente wie voluminöse Ärmel, Schnürungen, Miederformen oder aufwendig gearbeitete Stoffe tauchen in abstrahierter Form auf, nicht als nostalgisches Zitat, sondern als bewusste, stilistische Entscheidung, um Geschichte als wandelbares Material zu zeigen.
Die Kollektion erzählt nicht vom Mittelalter, sondern nutzt dessen Symbolik, um heutige Fragen zu stellen: Was bedeutet Freiheit in einer Welt voller Erwartungen? Wie lässt sich Individualität in Zeiten von Massentrends behaupten?
Farbpalette als Erzählung
Die Farbauswahl der SS26-Kollektion folgt einer emotionalen Dramaturgie. Grüntöne wie Oliv, Farn oder Moos erinnern an die Natur – den ursprünglichen Raum der Jagd, aber auch an Rückzug, Heilung, Neubeginn. Dazwischen leuchten Buttergelb, Pastelltöne und zartes Rosa auf – Farbflächen, die fast schwerelos wirken und wie ein Lichtsignal im Dickicht erscheinen.
Kontrastierend dazu stehen die dunkleren Kapitel der Kollektion: Schwarz, Violett und tiefe Blaunuancen markieren Spannung, Schatten, das Ungewisse. Die Farbsprache verweist auf das Ambivalente der Suche – nicht jede Erkenntnis ist leicht, nicht jede Befreiung kommt ohne Konflikt.
Besonders eindrucksvoll ist der textil-handwerkliche Anspruch, mit dem Danny Reinke seine Kollektion entwickelt hat. Seide, Spitze, Brokat, Wolle – jedes Material trägt Bedeutung und Stimmung. Viele der Stoffe stammen aus hochwertigen Deadstock-Beständen, werden zum Teil aufwendig von Hand gewebt, bestickt oder gehäkelt.
Gerade diese handwerklich aufgeladenen Details machen „The Hunt“ so besonders: Fransen, Häkelapplikationen, mehrlagige Stoffkompositionen, filigrane Schnitte und kunstvoll gesetzte Texturen schaffen eine sinnliche Ebene, die weit über Mode als Oberfläche hinausgeht. Die Kollektion hat Tiefe, inhaltlich wie haptisch.
Nicht zuletzt ist der bewusste Umgang mit Ressourcen ein klarer Kommentar zur Nachhaltigkeit in der High Fashion: Keine Überproduktion, keine Trend-Billigkeit – sondern präzise gefertigte Einzelstücke, ausschliesslich auf Bestellung.
Schnürungen als Zeichen von Wandel
Ein wiederkehrendes Element in der Kollektion sind Schnürungen und Schleifen, welche oft verspielt, manchmal fast funktional eingesetzt. Reinke nutzt sie als visuelle Brücke zur Symbolik mittelalterlicher Kleidung, aber auch als Gestaltungsprinzip für Verbindung, Halt und Veränderung.
Eine Schnürung kann eine Silhouette formen, ein Kleid öffnen, ein Detail betonen, aber auch eine Grenze markieren. In „The Hunt“ werden sie zu Metaphern für Bindung und Loslösung, für den Moment des Wandels.
Silhouetten zwischen Präsenz und Leichtigkeit
Die Entwürfe bewegen sich stilistisch zwischen Couture und Tragbarkeit. Lange Kleider, fließende Tuniken, transparente Layers, körpernahe Korsagen und feine Wickelelemente verleihen den Looks eine stille Präsenz – sie wirken leicht, fast entrückt, und doch fest verwurzelt im Körper. Die Kleidung umarmt, statt zu dominieren.
Die Silhouetten folgen keiner Gender-Formel, sondern wirken bewusst offen. Auch das ist Teil des narrativen Konzepts: „The Hunt“ als Suche nach Freiheit meint auch die Befreiung von binären Dresscodes.
Zwischen Kunstobjekt und Kleidungsstück
Danny Reinke inszeniert seine Entwürfe oft wie fragile Skulpturen. Die Mode funktioniert im Raum, im Laufstegmoment, in der Inszenierung, aber auch im Alltag eines bewussten Trägers oder einer Trägerin. Dabei entstehen Stücke, die sowohl tragbar als auch ausdrucksstark sind – eine seltene Balance in der Avantgarde-Mode.
Im Gegensatz zu vielen kommerziellen Kollektionen verzichtet Reinke bewusst auf massentaugliche It-Pieces. Stattdessen entstehen komplexe Looks, die ein eigenständiges Statement setzen - für alle, die Kleidung nicht nur als Schutz, sondern als Ausdruck ihrer inneren Prozesse verstehen.
Mode als Erzählung - nicht als Konsumgut
Was „The Hunt“ so besonders macht, ist die Verbindung aus konzeptueller Tiefe und gestalterischer Raffinesse. Die Kollektion funktioniert nicht über plakative Trends, sondern über eine vielschichtige Bildsprache, die Kleidung als Erzählung versteht – als Möglichkeit, sich neu zu verorten, zu verwandeln, zu hinterfragen.
Reinke gelingt mit SS26 ein seltenes Kunststück: Er verbindet poetische Mode mit politischer Haltung, Textilkunst mit emotionaler Intelligenz. Seine Designs erzählen keine lineare Geschichte, sondern öffnen Räume für Assoziationen, Identität, für persönliche Jagden nach Freiheit.